Galgenwanderung

HepprumAm 18.08.2012 haben wir, trotz kochenden Hitze, die geplante Galgenwanderung absolviert. Die Gruppe war wie immer, nicht zu groß (ca. 30 Personen), aber  lustig.
Die Führung in die grausige Geschichte der Stadt hat unser Jahrgangskamerad Karl übernommen. Prof.Dr. Karl Härter ist Mitglied im Heppenheimer Geschichtsverein. Geschichte ist seine Passion, er erzählt sie nicht nur, er lebt sie!

Am Rathaus –  Hauptsitz des alten Rechts – das uns einen ausreichenden Schatten gespendet hat, haben wir die Ganovenjagd begonnen. Es war sehr heiß, so konnten wir schon mal ein Strafmaß nachfühlen – das Verbrennen.
Hier haben wir erfahren, warum die Liebigapotheke ähnlich aussieht wie das Rathaus: früher war dort eine Gaststätte und die Gerichtsbarkeit hat gern dort die Sitzungen verlegt.
Am Pranger, links und rechts vom Eingang, wurden öffentlich die Halunken gestellt. Dazu gehörten damals auch Ehebrecher.
Ojej, wir haben nur zwei Pranger, da wäre heute aber eng…

Altes Judenbad„- kleines Häuschen am Hinteren Graben, vollständig mit Efeu bewachsen. Hier hat früher ein der Stadttürme gestanden, in dem Gefangene gehalten wurden. Die Wache wurde von Bürgern übernommen und Brot mit Wasser, fehlende Heizung und Lüftung haben die Kosten der Unterbringung gering gehalten.
Durch eine Minigasse, die kaum jemand von uns kannte, sind wir weiter zum Amtshof gegangen.

Kurmainzer Amtshof – hier haben die Verdächtigen im Turm auf die Verhöre gewartet. Gleich daneben, im heutigen Raucherzimmer ( z.Z. leider kein Restaurantbetrieb) war damals der Verhör- und Folterraum, denn Folter haben bei den Verhören für gutes Klima gesorgt, so dass die „Wahrheit“ immer ans Licht gekommen ist.
Schon vor paar hundert Jahren wurde hier z.B. über einen Fall vom Inzest in Hambach geurteilt. Aha? Also doch… … Damals hat sich ein Hambächer glatt an seine Schwägerin rangemacht. Pfuj!
Nebenbei: Hambach hieß früher Heimbach – ja… es ist dort bis heute „wie daheim“.

Der Streitstein – schon im Mittelalter hat es Streitigkeiten zwischen Heppenheim und Bensheim gegeben (und Traditionen soll man pflegen), damals um die Zuständigkeit für Bewachung und Überführung eines Delinquenten. Mit dem symbolischen Stein wurde dafür eine Grenze festgelegt. Er hat zwischen der Straße nach Hambach und Schlachthof gestanden, heute steht er vor Stadtende, also näher an Bensheim. Auch gut.

Centgericht, ein Hügel am heutigen Sportplatz, jetzt nur noch über einen sehr schmalen Pfad zugänglich.
Bei leichtem Rauschen der Linden und ihrem süßlichen Duft, wurden hier gerechte Urteile gefällt. Ein altes Gerichtsbuch belegte Beispiele und Namen aus der kriminellen Geschichte. Mit großem Interesse wurde in dem Register nach eigener Namen gesucht (und gefunden!). Karl hat uns auch die Herkunft einiger bergsträßer Namen erklärt. Und plötzlich waren viele von uns , dank einem Dieb, irgendwie miteinander verwandt.
Den Namen Vettel kennt in Heppenheim jeder. Woher der Name kommt – wissen vermutlich die Wenigsten. Vettel war ein „alter weiser Mann“ in den früheren Gerichten. Also heute übersetzt: Vettelheim = Altenheim.

Der Stab wurde über uns gebrochen und die Prozession hat sich in Richtung Hirnrichtungsplatz (…also nach Bensheim) gesetzt.
Statt Leiterwagen mit Delinquenten ist schon mal ein Auto mit zwei Fußkranken (und Überraschung, wie sich später rausgestellt hat) vorgefahren. Der Rest musste die verbliebenen 2 km (hitzemäßig gefühlte mindestens 13 km!)  traditionell zu Fuß gehen.

Galgenplatz. Der alte Platz war direkt neben der heutigen B3, kurz vor Bensheim, wurde später etwas höher und auf die andere Straßenseite gestellt. Am Galgenbau haben sich solidarisch alle Handwerker der Gegend beteiligt, damit keiner später allein die Last des Gewissens trägt. Der Delinquent baumelte da paar Wochen lang (könnte man sagen: luftgetrocknet), bis der Strick mürbe wurde und von selbst gerissen ist. Die Überreste wurden auf dem benachbarten Galgenacker gegraben.
Das hatte abschreckende Funktion, denn alle Vorbeifahrenden sollten sehen (und wenn die Sicht eingeschränkt war, konnte man es sicher auch riechen), dass in dieser Stadt Ordnung herrscht. Jawohl!

Nach einem kurzen Klettern in den Weinbergen (hitzebedingt – mindestens mittelgebirgisch) haben wir uns am schattigen Hirnrichtungsplatz gemütlich gemacht. Die Organisatoren haben uns hier mit Galgentrunk (Wein und Wasser), Galgenbrot (das gibt es heute aber nicht mehr so oft, also haben Brötchen auch getan) und Sitzbänken, überrascht.
Und Karl hat unermüdlich weitere Geschichten erzählt.
Der Scharfrichter war ein Bensheimer. Hingerichtet wurde durch Erhängen oder Schwert (= Kopf ab), diese Methode hat man besonders bei Frauen angewendet, sicher wegen dem zarten Nacken.
Auch mit Organen wurde damals schon gehandelt. Die Winzer haben gern mal einen abgeschnittenen Daumen eines Diebes dem Henker abgekauft und am Band in einen Weinfass hängen lassen, damit der Wein besser schmeckt. Na… da sind unsere Jahrgangswinzer besonders hellhörig geworden… Man ist ja schließlich immer um ein exzelentes Tröpfchen bemüht und für gute Rezepte offen…

Über den Scharfrichterweg (er hatte eigenen Weg, denn niemand wollte einen nahen Kontakt mit ihm) haben wir die Geschichte in Richtung Heppenheim wieder verlassen, um den Tag im „Alten Landhaus“ ausklingen zu lassen.

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Und jetzt noch der passende Zeitungsartikel dazu:

Starkenburger Echo - 31. August 2012